Textauszug "DIE GEIGE und andere Kurzprosa"
DIE GEIGE und andere Kurzprosa 
SALONLiteraturVERLAG, 157 Seiten, ISBN 3-939321-05-2
                                                                    978-3-939321-05-7 
 
"Was wollen Sie tun, um zu Kartoffeln zu kommen?" fragte sie penetrant. Er zuckte mit den Schultern: "Was
kann ich denn tun?" Es klang hoffnungslos, aber Frau Kern fragte ungerührt: "Haben Sie nichts zu versetzen?"
Er schüttelte den Kopf, und während ihr umherschweifender Blick auf dem Tisch die Geigen musterte, sagte 
sie nur: "Ich denke schon." Erschrocken, denn er sah, daß ihr Blick an den Geigen hängengeblieben war, 
wehrte er ab: "Nein, Frau Kern, Sie glauben doch nicht... ?" "Ich denke, so eine Geige könnte beim Bauern 
vielleicht etwas wert sein." "Aber das geht doch nicht, Frau Kern. Ich muss spielen, ich brauche die Geige!" 
"Sie haben doch zwei." Und sie deutete auf den Kasten. "Die gehört mir nicht, Frau Kern. Die habe ich nur 
zum Üben bekommen. Nach dem Studium muß ich sie wieder abgeben." " Und die andere?" "Die ist ein Erb-
stück. Ein wirklich wertvolles Instrument. Es ist eine ganz alte Geige. Der Vater meines Onkels hat schon da-
rauf gespielt, in Konzerten. Und jetzt fiel ihm etwas ein: "Übrigens, wir spielen in drei Wochen, ein wunder-
schönes Konzert, Tschaikowsky, Brahms, ich könnte Ihnen eine gute Karte... eine Freikarte... sozusagen als 
Entschädigung..." Er hatte sich in Hitze geredet, verstummte aber unter ihrem Blick: "Ich kann meinen Kin-
dern keine Konzertkarte als Mahlzeit vorsetzen. Versetzen Sie Ihre alte Geige. Die ist genau richtig für die 
Bauern. Die merken es nämlich nicht, wenn sie schon ein wenig abgenutzt ist." Erwiderte die Kern ungerührt.
"Aber ich kann meine Geige doch nicht für fünf Pfund Kartoffeln verscherbeln!" rief Zimmermann verzwei-
felt. "Natürlich nicht. Ein halber Zentner müsste schon rausspringen. Und ein paar Eier. Vielleicht auch etwas
Speck. Dann können Sie sich jeden Tag Bratkartoffeln mit Speck machen. Da kriegen Sie was auf die Rippen
Und ich kriege meine fünf Pfund Kartoffeln zurück." Der junge Mann saß eine Weile unbeweglich, zusam-
mengesunken. Dann kam es leise: "Frau Kern, Sie können das nicht von mir verlangen. Ich will Musiker wer-
den. Ich kann nicht mein wertvolles Handwerkszeug weggeben!" Sie sah ihn mit zusammengekniffenen Au-
gen an: "Soll ich Ihnen etwas sagen, Herr Zimmermann? Wissen Sie, was  i c h  schon alles zu den Bauern 
getragen habe? Ich habe die Anzüge meines Mannes weggegeben, seine Hemden, seine Schuhe, sogar seine 
geliebte Briefmarkensammlung. Und das eiserne Kreuz! - Können Sie sich vorstellen, was er mir sagen wird, 
wenn er zurückkommt? Ich sage es Ihnen. Er wird es verstehen. Denn es ist ihm wichtiger, die Kinder sind 
nicht verhungert. So!" schnaufte sie hörbar. Zimmermann schwieg betreten.